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Muslime in Deutschland

August 7, 2006

Das Netzwerk der Gutgläubigen

Von Uta Rasche

Sie engagieren sich in Moscheevereinen und muslimischen Organisationen, studieren und oder lehren Islamwissenschaft, gründen muslimische Verlage oder Buchhandlungen: Deutsche, die zum Islam übergetreten sind. Manche nehmen ihren neuen Glauben so ernst, daß sie mehrere Jahre in Koranschulen in Saudi-Arabien oder Pakistan verbringen. Einzelne drifteten in den Extremismus ab und kämpften in Tschetschenien oder Bosnien als Mudschahedin gegen die „Ungläubigen“.

Zahl der Konvertiten steigt

Die Zahl der deutschen Konvertiten zum Islam ist im vergangenen Jahr drastisch gestiegen. Traten nach Angaben des Islam-Archivs in Soest in der Vergangenheit in Deutschland alljährlich bis zu 300 Nichtmuslime zum Islam über, sind es zuletzt 800 gewesen. Mohammed Selim Abdullah, Leiter des Islam-Archivs, führt das auf den Ausbruch des neuerlichen Golf-Kriegs zurück.

Um Muslim zu werden, genügt es, vor zwei Zeugen das Glaubensbekenntnis, die Schahada, auszusprechen: „Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Mohammed sein Diener und Gesandter ist.“ Moscheevereine, die mit dem Islam-Archiv zusammen arbeiten, schicken dann eine Mitteilung nach Soest. Andere dagegen verzichten auf protokollarische Formalitäten vollkommen.

Eine besondere Biographie – ein besonderes Verhältnis zur Religion

Etwa 800000 Muslime mit deutschem Paß gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei uns. Gebürtige Deutsche sind von ihnen nur wenige. Die Zahl der Konvertiten, Menschen also, die von einer anderen Religion zum Islam übergetreten sind, schätzt man auf 13000 bis 60000. Sie machen zwar unter den mehr als drei Millionen Muslimen in Deutschland nur einen kleinen Teil aus. Doch Konvertiten haben eine besondere Biographie und ein besonders enges Verhältnis zu ihrer Religion – und sind manchmal auch besonders gefährlich. Sie wollen sich selbst und ihren neuen Glaubensgenossen beweisen, daß es ihnen ernst ist mit ihrer Bekehrung. Daher der ausgeprägte Wunsch, sich auf religiösem Gebiet demonstrativ hervorzutun.

Das kennt auch Mohammed Siddiq, ein deutscher Muslim, der mit bürgerlichem Namen Wolfgang Borgfeld heißt. Er ist 60 Jahre alt, mit 18 konvertiert. In der ersten Zeit hat seine Großmutter das Essen für ihn in separaten Töpfen kochen müssen, damit es nicht „unrein“ würde. Über Jahre hinweg hat er sich aus religiösen Gründen auch nicht fotografieren lassen. „Mit 16 wollte ich meinen eigenen Weg finden“, sagt Borgfeld, den am Islam vor allem „die Einfachheit und Klarheit der muslimischen Gottesvorstellung“ faszinierte.

„Der Wunsch, etwas für den Islam zu tun“

Nach Banklehre und nachgeholtem Abitur hat Mohammed Siddiq („der Wahrheitsliebende“) ein Studium der Soziologie und Islamkunde begonnen und ist nach Syrien, Jordanien, Irak, Kuweit, Saudi-Arabien, Marokko, Algerien, Libyen und in den Sudan gereist, wo er vier Jahre lang eine Koranschule besuchte. Nachdem er weitere vier Jahre an einer Koranschule in Medina zugebracht hatte, verspürte er „den Wunsch, etwas für den Islam zu tun“. Er zog mit seiner Frau nach Aachen, wo er Besuche von Schulklassen in der Aachener Moschee und Begegnungen deutschsprachiger Muslime organisierte.

Alsbald gründete er einen eigenen Verein, das „Haus des Islam“. Mit Spenden von Privatleuten, auch mit Unterstützung von Muslimen aus Kuweit, kaufte er 1983 ein ehemaliges Hotel in Lützelbach, einem Dorf im Odenwald. Hier wohnt Borgfeld heute mit seiner Frau und seinem zwölf Jahre alten Sohn, veranstaltet Korankurse, Ferienfreizeiten, Wochenendseminare zu Fragen muslimischen Lebens und Glaubens und organisiert Wallfahrten nach Mekka und Medina. Er lebt vom Handel mit Parfümölen und von Provisionen für die Abwicklung von Geschäften mit malaysischen Firmen.

„Keine Abkehr vom Christentum“

Wolfgang Borgfeld ist fromm, engagiert und überzeugt, den richtigen Weg gegangen zu sein. „Ich habe meinen Weg nie als Abkehr vom Christsein empfunden“, sagt er, „sondern als Weiterentwicklung.“ Er zitiert einen anderen Konvertiten: „Wir sind die besseren Christen.“ Das Wort stammt von Ahmad von Denffer, der, ähnlich wie Borgfeld früher, deutschsprachiger Referent am Islamischen Zentrum in München ist. Nach einem Studium der Islamwissenschaft in Mainz hat er die Schule der „Islamic Foundation“ in Leicester besucht. Außerdem hat er in München die einflußreiche Organisation „Muslime helfen“ ins Leben gerufen, die Muslime in allen Teilen der Welt unterstützt: die Witwen von Srebenica, verletzte Palästinenser, Kriegsopfer in Bosnien und Tschetschenien, Erdbebenopfer in Iran, die muslimische Minderheit in Mindanao auf den Philippinen sowie muslimische Waisenkinder – „denn auch der Prophet Mohammed war Waise“, heißt es auf der Website von „Muslime helfen“.

Andere Konvertiten geben die „Islamische Zeitung“ in Potsdam heraus, der eine Nähe zu rechtsextremem, antisemitischem Gedankengut nachgesagt wird. Auch die „Muslim-Zeitung“ in Hannover wird von deutschen Muslimen gemacht. Die Konvertitin Susanne Seifert hat eine islamische Buchhandlung in Wiesbaden gegründet; der Konvertit Hadayatullah Hübsch, Imam der Nuur-Moschee in Frankfurt, hat zahlreiche Bücher über den Islam veröffentlicht. Der Konvertit Christian Abdul Hadi („der Diener Gottes, des Rechtleitenden“) Hofmann, früher Mitarbeiter der CDU, ist zur Zeit damit beschäftigt, in Berlin nach dem Vorbild der Evangelischen und Katholischen Akademien und mit Unterstützung der langjährigen Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John eine „Islamische Akademie“ zu etablieren.

Ein Konvertit als erster Professor für Islamische Religionspädagogik

Die derzeit prominenteste Position, die ein deutscher Konvertit innehat, ist die erste Professur zur Ausbildung von Islamlehrern für staatliche Schulen, die an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingerichtet wurde. Muhammad Sven Kalisch, 38 Jahre alt, unterrichtet vom nächsten Wintersemester an muslimische Studenten am „Centrum für Religiöse Studien“. Vom Land Nordrhein-Westfalen wird es als großes Integrationsprojekt gepriesen. Dabei ist allerdings völlig unklar, ob Kalisch und die von ihm ausgebildeten Lehrer von den verschiedenen muslimischen Richtungen überhaupt akzeptiert werden.

Immer auf der Suche nach Stipendiaten ür Koranschulen

Wer heute eine Koranschule wie die in Medina besuchen will, hat es einfacher als Wolfgang Borgfeld damals: Er kann im mittlerweile gut organisierten Netz der deutschsprachigen Muslime leicht jemanden finden, der ihn dort für ein Stipendium vorschlägt. Die saudische Botschaft hat nach Angaben des früheren Geschäftsführers der umstrittenen König-Fahd-Akademie in Bonn, des Konvertiten Herbert Hobohm, regelmäßig nach Stipendiaten für muslimische Ausbildungsstätten gesucht. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime etwa, Nadeem Elyas, gilt als Vertreter der Islamischen Weltliga in Deutschland. Er soll einem der Mitwisser des Attentats auf die Synagoge von Djerba, zu dem sich Al Qaida bekannt hat, ein Stipendium an der Koranschule in Medina vermittelt haben.

Einer der Mitwisser des Attentats von Djerba war Konvertit

Auch andere in Deutschland ansässige Personen haben als Teil dieses Netzwerks eine wichtige Rolle gespielt. So zum Beispiel Christian Ganzcarski, mit dem der Selbstmordattentäter von Djerba sein letztes Handy-Telefonat geführt hat. Ganzcarski war als polnischer Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Im Ruhrgebiet konvertierte er zum Islam. Er hatte lediglich die Hauptschule besucht und sprach kein Arabisch. Nach wenigen Monaten hat er seinen Aufenthalt in Medina abgebrochen. Mit wem er dort zusammentraf, ist unklar. Kurz nach dem Attentat von Djerba jedenfalls wurde Ganczarski auf dem Pariser Flughafen festgenommen.

Deutsche Konvertiten studieren an der Scharia-Fakultät in Damaskus
Verfassungsschützer haben ermittelt, daß deutsche Konvertiten auch an die Scharia-Fakultät nach Damaskus, eine Hochburg der Muslimbrüder, geschickt wurden. Ihren Erkenntnissen zufolge hat Ahmed von Denffer, der in Leicester bei einem pakistanischen Professor studierte, gute Kontakte zur islamischen Universität in Islamabad, wohin er auch Stipendiaten vermittelt. Er soll Fereshda Ludin, die im Kopftuchstreit bis vor das Bundesverfassungsgericht zog, dort einen Aufenthalt ermöglicht haben. Sie war auch Mitglied im „Scharia-Rat“, der in Borgfelds „Haus des Islam“ gegründeten Muslimischen Jugend und mit einem Konvertiten verheiratet.

Eine ideale Zielgruppe für Islamisten

Gewiß bringt nicht jeder Besuch an einer Koranschule einen Extremisten hervor, und natürlich wird nicht jeder Konvertit ein Terrorist. Doch wenn islamische Fundamentalisten in Deutschland Menschen suchen, die sie für ihre Ziele einspannen können, stellen junge Konvertiten geradezu die ideale Zielgruppe dar: Sie sind begeisterungsfähig, wollen sich beweisen, haben ihre Wurzeln gekappt und ihren alten Freundeskreis zugunsten der muslimischen Gemeinschaft aufgegeben. Außerdem verfügen sie über entscheidende taktische Vorteile: Sie besitzen einen deutschen Paß, können innerhalb Europas uneingeschränkt reisen, sprechen oft gut Englisch und sehen vollkommen unverdächtig aus.

Zwei solcher Fälle sind bekannt: Der deutsche Konvertit Thomas Fischer aus Ulm nahm die Aufrufe zum „Dschihad“, die man in anderer Lesart durchaus als Aufforderung zum frommen Leben verstehen kann, wörtlich und entwickelte sich zum Fanatiker. 2002 ging er in den „Heiligen Krieg“ nach Tschetschenien, um die muslimischen Glaubensbrüder im Kampf gegen die Russen zu unterstützen. Im November 2003 wurde er von russischen Soldaten erschossen.

Auch Steve Smyrek, der sich früher in der rechtsextremen Szene aufhielt, konvertierte zum Islam. Möglicherweise ebnete ihm der Antisemitismus den Weg in die neue Religion. Seine antijüdische Einstellung und eine gewisse Gewaltbereitschaft machten ihn für seine Anwerber zum idealen Kandidaten: Er wollte als Selbstmordattentäter für Allah sterben. Bei seiner Einreise nach Israel 1997 wurde er gefaßt und zu zehn Jahren Haft verurteilt. Anfang 2004 kam er bei einem israelisch-palästinensischen Gefangenenaustausch frei. Von seiner Absicht, ein Attentat zu verüben, hat er sich nie distanziert.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 22.08.2004, Nr. 34 / Seite 47
Bildmaterial: ZDF

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